In Dunkelheit
Als ich die Augen öffne, blicke ich in totale Dunkelheit. Ich nehme einen Atemzug. Die Luft ist schwer und riecht nach Holz und Erde. Ich liege. Die harte Oberfläche drückt mir unangenehm auf Wirbelsäule und Hinterkopf. Als ich versuche, den Kopf anzuheben, stoße ich mit der Stirn schmerzhaft an ein Holzbrett über mir. Ich will mich auf die Seite drehen, aber da ist nicht genug Platz. Ziehe ich die Knie an, stoßen sie an eine Wand. Strecke ich die Beine aus, berühren meine Schuhspitzen eine Wand. Ich blinzle immer wieder, doch meine Augen wollen sich nicht an die drückende Finsternis gewöhnen. Ich taste mit den Händen in die Schwärze hinein. Unter meinen Fingern spüre ich die feinen Unebenheiten in der Holzmaserung. Unter mir, über mir, neben mir – nur solide Holzwände. Meine Hände zeichnen die Konturen meiner Umgebung nach. Boden – rechter Winkel – Wand – rechter Winkel – Decke. Ich lausche, versuche etwas zu hören, doch da ist nichts. Ich höre nur mein eigenes Schnaufen und das Schaben meiner Hose auf dem rauen Holz, wenn ich meine Beine anziehe und ausstrecke. Stille Finsternis hat mich verschluckt.
Mein Unterbewusstsein hat die Situation schneller begriffen als ich. Ich kann nichts machen, als mein Puls wie von selbst immer schneller wird. Ich amte abgehakt, schnappe nach Luft, meine Kehle schnürt sich zu. Eine Tonne Gewicht drückt auf meine Brust. Ich spüre, wie der Fluchtreflex von unten nach oben in mir aufsteigt, wie eine Welle. Mein Körper stößt Adrenalin aus. Meine Beine wollen rennen, meine Muskeln zucken. Ich schreie panisch und trommele mit den flachen Händen gegen die Decke. Verzweifelt kratze ich am Holz herum. Ein Holzsplitter bohrt sich unter den Fingernagel meines rechten Zeigefingers und schickt einen Schmerz wie einen elektrischen Schlag durch meinen Finger. Ich klopfe noch ein paar Mal und muss schließlich erschöpft aufgeben. Tränen laufen in meine Ohren. Schweißgeruch füllt den engen Raum. Mein Herz und mein Finger pochen um die Wette. Die Wände sind kühl, doch ich fühle mich wie in einem Backofen gefangen.
Ich habe einen unangenehmen Druck auf dem Kopf, der meine Denkvorgänge verlangsamt. Mit jedem Atemzug wird die Luft um mich herum etwas dünner und stickiger.
So gut es auf dem beengten Raum geht, taste ich meinen Körper ab. Ich trage ein dünnes, langärmliges Shirt und vermutlich eine Jeans. Etwas Staubiges haftet an mir. Ich zerreibe feine Körnchen zwischen meinen Fingern. Wenn ich mit dem Finger über mein Gesicht streiche, spüre ich krümelige Erde. Meine Uhr ist noch an meinem linken Handgelenk, aber leider hat sie keine Leuchtanzeige. Haarsträhnen kleben an meiner schweißnassen Stirn. Ich durchsuche meine Taschen, aber finde nichts. Ich bin müde und jede Bewegung kostet mich Kraft. Ich versuche, so flach es geht zu atmen, um nicht zu viel Sauerstoff auf einmal zu verbrauchen. Irgendwo bei meinen Schuhen spüre ich etwas und schiebe es mit meinem Fuß nach oben. Ich verdrehe mich so weit ich kann, um den Gegenstand zu greifen und ihn im Dunkeln zu befühlen.
Es braucht lange, bis die Erkenntnis zu mir durchdringt, dass ich ein Smartphone in der Hand halte und was das für mich bedeutet. Eine Welle der Euphorie durchströmt mich und macht mich wacher. Hoffnung! Mit klopfendem Herzen suche ich einen Schalter. Ich drücke drauf und kneife augenblicklich die Augen zu, weil mich das grelle Licht des Bildschirms blendet. Als sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt haben, suche ich das Display nach Hinweisen ab. Ich sehe, dass es Freitag, der 5. Mai, 22:43 Uhr ist. Ich habe keine Ahnung, ob das stimmt, und muss es hinnehmen. Neben dem Batteriesymbol am oberen Rand des Displays steht 15 Prozent. Die Anzeige weist mich darauf hin, dass ich das Ladekabel anschließen soll. Kein einziger Balken bei Empfang. Ich sinke resigniert in mich zusammen.
Ich drücke auf das Taschenlampensymbol und helles Licht füllt jeden Winkel meines Gefängnisses aus. Es ist helles Holz, am Fußende ragt ein Nagel in den Innenraum. Ich erkenne meine Kleidung vom Vortag wieder. Sie ist verdreckt, als hätte ich mich in Erde gewälzt. Es ist so wohltuend, endlich etwas sehen zu können, aber ich erlaube mir diesen Luxus nur kurz, damit der Akku nicht zu schnell leer geht. Ich durchsuche das Smartphone, aber stelle fest, dass es keine Einträge im Telefonbuch gibt. Der letzte Strohhalm, an den ich mich klammere, ist der Notruf, der ohne Netz geht. Ich warte und warte, aber komme nicht durch.
Ich muss das Handy für einen Moment weglegen, weil meine Augen und mein Kopf vor Überforderung protestieren. Ich fahre mir mit den Händen erschöpft übers Gesicht. Ich verspüre den Drang zu schlafen. Es wäre so schön, die Augen zu schließen und mich der Dunkelheit hinzugeben. Vielleicht ist das nur ein Albtraum und ich wache in meinem Bett auf? Der Gedanke ist so verlockend, dass ich mich nur mit Mühe gegen ihn wehren kann. Ich drücke meinen verletzten Finger gegen die Holzwand und jage einen kurzen Schmerzimpuls durch meinen Arm, um wachzubleiben. Ich nehme das Handy nochmal zur Hand und suche weiter.
Ich finde eine Notiz und eine gespeicherte Sprachnachricht.
„Hältst du so lange durch, bis die Polizei dich findet?“
Mit zittrigen Fingern drücke ich die Taste, um die Aufnahme abzuspielen. Mein Puls wird immer schneller, als ich warte, was passiert. Zuerst eine quälende Ewigkeit nur leises Rauschen im Hintergrund. Dann schallt mir ein sanftes Lachen entgegen.
In Todesangst kreische ich aus voller Kehle. Ich habe das Gefühl, das ekelhafte Hände aus der Dunkelheit nach mir greifen und winde mich hin und her. Es ist mir egal, dass sich Holzsplitter in meine Hände bohren, ich kratze trotzdem am Deckel. Ich reiße winzige Holzfasern heraus – jedes noch so kleine Stück. Ich klopfe, ich hämmere, ich trete. Ein letztes Aufbäumen, bevor meine Muskeln erschlaffen.
Ich will schreien, aber meine Lungen machen nicht mehr mit. Die Luft ist inzwischen so dick, dass man mit einem Messer durchschneiden kann. Mein Gehirn lechzt nach Sauerstoff. Ich will kämpfen, aber ich habe keine Kraft mehr dazu. Von meinem eigenen Geruch wird mir schlecht. Ist mein Fleisch vielleicht schon am Verwesen und ich merke es noch nicht?
Die Akkuleistung sinkt auf 12 Prozent.
Von der Hitze läuft mir der Schweiß das Gesicht herunter. Meine Lippen und mein Mund sind ausgetrocknet. Aus Reflex lecke ich einen Schweißtropfen von meiner Oberlippe und freue mich über den salzigen Geschmack. Ich habe Hunger. Ich überlege, auf was ich Appetit hätte, aber kann mich nicht mehr entscheiden.
Die meiste Zeit sind meine Augen nun geschlossen, weil meine Lider so schwer wie Blei sind. Ich kann mich noch ein paar Mal dazu bringen, auf das Smartphone zu schauen.
Akku bei 7 Prozent, bei 6 Prozent, bei 5 … 23:21 Uhr. Zeit spielt keine Rolle mehr. Genauso wenig wie Hoffnung.
Ist schon seltsam, an was du so im Stockfinsteren denkst, wenn sich langsam Wolken um dein Gehirn bilden und es eng in deiner Brust wird. Wenn zäher Sirup deine Lungen und deinen Schädel füllt. Wenn dein Körper das Unausweichliche akzeptiert. Ich mache mir Gedanken darüber, dass ich meinen Arzttermin verpasst habe. Ich stelle mir vor, wie die Leute über meine Unzuverlässigkeit lästern. Ich stelle mir ihre betroffenen Gesichter vor, wenn sie die Wahrheit erfahren. Ich denke an die Reisen, die ich noch gern gemacht hätte. Japan fand ich immer schön. Ich wollte meinen Eltern noch so vieles sagen. Mir fällt der Typ ein, mit dem ich dieses Jahr etwas hatte. Ich stelle mir vor, wie er jetzt neben mir liegt, meine Hand hält und mich mit seinen grünen Augen voller Begierde anblickt.
Ich liege hier und weine über ihn, den Schmerz und die Sehnsucht nach der Nähe eines anderen. Als nächstes kreiert mein Gehirn ein absurdes Szenario, wie ich mich wie die Helden in den Filmen mit blanken Fäusten freikämpfe. In meiner Vorstellung setze ich die Knöchel meiner linken Faust an die Holzdecke und schlage durchs Holz. Aber das hier ist kein Film, wo es für den Helden gut ausgeht.
Mein Denken bleibt beim letzten Abend mit meinem Ex hängen. Ich lächle, als mein Körper schwer wird und ich mich nicht mehr bewegen kann.
Ich träume von Schaufeln und Erde. Es rumpelt über mir. Bewegungen. Durcheinander. Ein kalter Luftzug schlägt mir wie eine Peitsche entgegen. Meine Augenlider flattern und ich sehe ein helles, weißes Licht vor mir. Das Ende?
„Wir haben sie!“