Süßer Abschied
Gnadenlos brennt die Sonne auf die Trauergemeinde nieder. Mist, jetzt spielt auch noch mein Kreislauf verrückt. Ich schwanke. Irgendjemand stützt mich. Fast nehme ich mir selber die trauernde Witwe ab.
Geschafft. Endlich hat mir auch der Letzte kondoliert.
„Hallo Pia“, ruft es von hinten. Highheel-Geklapper kündigt meine Nachbarin Ruth an.
„Ruth, hallo“, antworte ich knapp.
„Mein Beileid. Wie geht es dir? Es ist so schrecklich. Dein armer Mann, viel zu früh“, schluchzt sie.
Zorn kocht in mir hoch. Diese falsche Schlange. Wie gut, dass der kleine Hutschleier mein halbes Gesicht verdeckt.
„Ja, viel zu früh. Bitte entschuldige Ruth, ich möchte jetzt allein sein.“
„Natürlich Pia. Das verstehe ich. Aber wenn du was brauchst, dann melde dich. Ich bin für dich da!“
Wortlos drehe ich mich um und mache mich auf den Heimweg. Meine Gedanken schweifen ab. Wie konnte mir das mein Karl, die Liebe meines Lebens, nur antun? Tobt sich jahrelang vor meiner Nase im Nachbarbett mit Ruth aus und ich Schaf hab nichts gemerkt, war blind vor Liebe. Ich sehe die beiden förmlich vor mir, wie sie über mich lachen. Die ganzen sechsundzwanzig Ehejahre hab ich nie an seiner Treue gezweifelt. Was für ein grandioser Schauspieler ist doch an ihm verloren gegangen.
Mr. Zufall hat alles auffliegen lassen. Ich wollte seinen Anzug in die Reinigung bringen und hab die Taschen geleert. Dabei flatterte mir der Brief von Ruth entgegen. Karl hat gar nichts abgestritten. Langweilig sei das Leben und der Sex mit mir. Ich würde ihn verhätscheln wie eine Glucke, kein Pep, kein Feuer. Immer brav. Langweilig eben. Ich hätte es nicht mal fertig gebracht, aus unserer Ehe eine Familie zu machen. Jede andere Frau könne Kinder kriegen, nur ich nicht.
Die tiefe Wunde in meinem Herz blutet. Wie gern hätte ich Kinder gehabt. Die Natur hat anders entschieden.
Plötzlich schießt ein Gedanke durch meinen Kopf. Ich bin wie elektrisiert. Die Haustür fällt hinter mir ins Schloss. Meine Handtasche fliegt in die Ecke, die schwarzen Klamotten in die Wäschetonne. Der Gedanke pulsiert in meinem Kopf, wird immer drängender. Wie im Fieber bereite ich alles vor. Zum Abschluss schneide ich eine Zwiebel auf und reibe mir den Saft in die Augen. Dann rufe ich Ruth an und lade sie zu Kaffee und Kuchen ein. Angeblich kann ich jetzt doch nicht allein sein. Brav schluckt sie den Köder.
Es klingelt. Die Show beginnt.
„Ruth, danke, dass du so schnell gekommen bist“, flüstere ich. Meine Zwiebeltränen kullern filmreif.
„O Pia, das ist doch selbstverständlich. In einer so schlimmen Situation hilft man sich doch.“ Vertraulich legt sie die Hand auf meinen Arm. Ich führe sie ins Esszimmer, wo schon der Streuselkuchen und der Kaffee warten. „Wie liebevoll du den Tisch gedeckt hast“, lobt mich Ruth.
„Es war mir ein Bedürfnis. Eine letzte Erinnerung an Karl. Damit konnte ich ihm immer eine Freude machen. Bitte entschuldige meine Sentimentalität“, antworte ich und schaue zu Boden. „Aber setz dich doch. Der Kaffee wird sonst kalt.“ Ich schenke ein und lege Ruth ein Stück Kuchen auf den Teller.
„O bitte kein so großes Stück. Das geht bei mir gleich auf die Hüften“, wehrt sie ab.
„Du kannst es dir doch allemal leisten bei deiner Modelfigur“, trage ich so richtig dick auf. Die blöde Kuh wird doch tatsächlich rot, aber ihr Widerstand ist gebrochen. Immer wieder schiele ich zu Ruths Teller. Endlich hat sie aufgegessen. Ohne Vorwarnung springe ich auf, umrunde den Tisch und bleibe knapp vor ihr stehen. „Na, hat dir das Bemuttern gefallen?“, schreie ich sie an. Vor Schreck lässt sie die Tasse fallen. Scherben und heißer Kaffee ergießen sich über die Fliesen. „Karl und ich haben immer über dich gelacht. Weißt du, wie er dich genannt hat? Nachbar-Schlampe, der er es immer wieder so richtig besorgen muss, damit sie nicht vertrocknet.“ Ich lache laut auf. Ruth springt auf, der Stuhl kracht zu Boden. Unsere Gesichter sind nur Zentimeter voneinander entfernt. Ihre Gesichtsfarbe wechselt von kalkweiß zu dunkelrot.
„Karl hat nur mich geliebt. Er wollte sich von dir trennen und mit mir zusammen sein. Du erzählst totale Scheiße!“, japst sie.
„Ach ja? Warum war er dann immer noch bei mir? Weil er nie vorhatte, sich von mir zu trennen. Wir hatten eine offene Beziehung. Hast du das nicht gewusst?“, speie ich ihr entgegen.
„Das muss ich mir nicht anhören. Unsere Nachbarschaft ist gestorben.“ Mit diesen Worten rauscht sie zur Tür hinaus.
Gestorben – gutes Stichwort.
Perfekt gelaufen. Ich summe mein Lieblingslied und stelle die Waschmaschine an. Schließlich brauche ich mein schwarzes Friedhofs-Outfit in ein paar Tagen für die nächste geplante Beerdigung.
Es wundert mich heute noch, wie einfach es war, die Rizin-Samen im Internet zu bestellen. Mahlen, genug davon im Streuselkuchen verstecken und den richtigen Leuten liebevoll kredenzen. Fertig. Zuverlässig tut das Rizin ein paar Stunden später seinen Job mit einem schnellen Tod. Und das Beste: Rizin kann man im Körper nicht nachweisen.
So, lieber Karl, findest du mich jetzt auch noch langweilig und brav? Ach ja – und vielen Dank auch für die fünfhunderttausend Euro. Die Lebensversicherung wurde schon ausgezahlt.