Datecafé
Der heutige Tag entscheidet, wie es mit meinem Datingleben weitergeht.
Wenn das ebenfalls ein Reinfall wird, lasse ich es am besten komplett …
Für Lena sind Dates mittlerweile Routine. Alles bleibt vergleichbar: Datecafé, Date-Outfit, sowie die 180 Schritte vom Parkplatz bis zum verabredeten Treffpunkt. In den letzten Monaten ist Lena diese Strecke regelmäßig gelaufen; einmal hat sie dabei ihre Schritte gezählt. Beim ersten Mal, um ihren Gedanken einen Anhaltspunkt zu geben, bei den darauffolgenden Malen aus Langeweile.
Routine eben.
Noch 112 Schritte. Bestimmt habe ich das hier bereits so viele Male gemacht.
Jedes Date ist exakt zwei Euro Parkgeld wert. Das macht zwei Stunden Zeit für jeden Gesprächspartner. Alles andere könnte Lena aus ihrem durchgeplanten Tagesablauf bringen. Der Ablauf jedes Treffens ist derselbe, ähnelt einem Vorstellungsgespräch. Der Fragenpool ist vorab festgelegt, vergleichbar mit einer Führerscheinprüfung. Alles startet beim Eintreten in das Café und endet beim Bezahlen. Die meisten überschreiten die maximal erlaubten zehn Fehlerpunkte, was die immer gleiche Absage per SMS nach sich zieht. Zumindest mit personalisierter Anredezeile. Ein ausgetauschter Name würde dieses Mal allerdings nicht reichen. Sie müsste den gesamten Text überarbeiten.
Schritt 80. Definitiv nicht der Brustumfang bei diesem hier.
Der Bügel von Lenas BH drückt gegen ihre Rippen. Unter Normalbedingungen würde sie von Haarspange bis Socken ihr übliches Date-Outfit tragen, doch gerade heute ist der Verschluss ihres ausgewaschenen Lieblings abgebrochen. Ausgerechnet heute, wo konstante Rahmenbedingungen so wichtig wären. Objektiv kann zwar niemand eine Veränderung erkennen, da sich Lenas Oberkörper unter dem weiten Pulli versteckt, dennoch haben sich ihre Gefühle verändert.
Lena ist heute nicht gleichgültig, sie ist genervt. Genervt von dem warmen Wetter, den vielen Fußgängern und vor allem davon, dass sie zum ersten Mal seit langer Zeit eine Welle von Nervosität verspürt. Die Hitze sammelt sich unter ihrer Kleidung wie unter einem Heißluftballon, der kurz vor dem Abheben steht.
Sie muss anhalten. Den Pulli ausziehen.
Das Stehenbleiben hat sie aus ihrer Routine geworfen.
Geschätzt fehlen noch 50 Schritte. Wie sinnlos das doch ist …
An der Ecke zum Treffpunkt lehnt sich Lena gegen die Häuserwand, damit sie unauffällig um die Ecke spähend ihr Date suchen kann. Der Mann vor der Glasfront kann es nicht sein, auch wenn sie gerade nur seinen Rücken sieht. Der Blick auf ihre Uhr verrät, dass sie auf die Minute pünktlich ist. Entweder befindet sich ihr Date bereits im Café oder es kommt zu spät. Beides führt zum sofortigen Ausschluss, denn sie hatten ausdrücklich ein Treffen vor dem Eingang ausgemacht. Wer sich bereits jetzt nicht an Absprachen hält, kann einfach nicht zu ihr passen. Das kann nichts werden, die Zeichen stehen bereits jetzt zu schlecht. Sie würde das Ganze sicher sofort bereuen. Konnte es nur bereuen. Lenas Bauch gewinnt. Rückzug, sofort!
Sie dreht sich ruckartig von der Ecke weg, bevor sich ihr Kopf einmischen kann.
Jemand Schnelles verhindert ihre Flucht jedoch, wirft sie in ihre Beobachterecke zurück. Bevor Lena die Situation realisieren kann, steht das Fahrrad bereits neben ihr. Der Fahrer blickt konzentriert auf sie: „Entschuldige bitte! Noch nie habe ich ein Date mit einem Beinahe-K.o. vorzeitig beendet. Geht‘s dir gut?“
Ohne ein Wort herauszubekommen, schaut Lena an sich herunter. Während sie nickt, kann sie ihr Lächeln nicht unterdrücken.
„Mein Vorderreifen ist eben geplatzt. Wäre es in Ordnung für dich, wenn wir unser Treffen mit einem Ausflug in den kleinen Fahrradladen an der Ecke starten und uns anschließend einen Kaffee holen? Ich bin übrigens Saskia. Auch wenn wir uns bereits vom Schreiben kennen, gehört eine kurze Vorstellung dennoch dazu, oder?“
Zwei Orte in zwei Stunden. Zeitlich wird das nicht passen …
Lena nickt ein zweites Mal und plötzlich zwickt der Bügel an ihrem BH nicht mehr so stark. Der Strafzettel wird es wert sein.